Ein Jahr Personalbemessung (PeBeM).
Wie hat sich die Langzeitpflege entwickelt?
Seit Inkrafttreten der neuen Personalbemessung am 1. Juli 2023 – geregelt in § 113c SGB XI – ist inzwischen ein Jahr vergangen. Anlass für uns, im Rahmen einer ersten Zwischenbilanz zu reflektieren, welche Auswirkungen das neue Personalbemessungssystem in der Praxis hat und welche Veränderungen damit einhergegangen sind.
Ziele und Inhalt der neuen PeBeM
Die neue Personalbemessung soll die Arbeitsbedingungen in der Langzeitpflege verbessern. Ziel ist es, bundesweit einheitliche Personalanhaltswerte für vollstationäre Pflegeeinrichtungen einzuführen und den Einrichtungen die Möglichkeit zu geben, mehr Personal einzusetzen als zuvor.
Das neue System legt außerdem fest, welchen Qualifikationsmix die Einrichtungen in Abhängigkeit von der Bewohnerstruktur (Case-Mix) vorhalten müssen. Ziel ist es dabei, über den Qualifikationsmix insbesondere Pflegefachkräfte dadurch zu entlasten, dass definierte Aufgaben an Pflegefachhelfer*innen (QN3) mit einer Ausbildung von mindestens einem Jahr delegiert werden können. Diese kompetenzorientierte Aufgabenverteilung ersetzt die bisherige 50 % Fachkraftquote.
Allerdings legt § 113c SGB XI nur die maximal zu vereinbarende personelle Ausstattung des Pflege- und Betreuungspersonals fest. Die Verantwortung für die Mindestpersonalausstattung liegt bei den Bundesländern. Diese müssen im Rahmen von Rahmenverträgen Mindestgrenzen festlegen und dabei auch Punkte wie den Nachtdienst oder Funktionsstellen (Pflegedienstleitung, Qualitätsbeauftragte, Praxisanleitung usw.) regeln.
Praxiserfahrungen aus den Bundesländern
In der Praxis zeigt sich, dass auch nach einem Jahr längst nicht alle Bundesländer einen gültigen Rahmenvertrag haben, der die Vorgaben des § 113c SGB XI konkretisiert oder ergänzt.
- In Bayern trat am 1. Juli 2023, zeitgleich mit dem Inkrafttreten des § 113c SGB XI, ein Nachtrag zum bestehenden Rahmenvertrag in Kraft, der die Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens regelt.
- In Baden-Württemberg gibt es hingegen noch keinen gültigen Rahmenvertrag zur Personalbemessung. Für Pflegesatzverhandlungen dient daher der Entwurf des Rahmenvertrags als Orientierung.
- In Nordrhein-Westfalen (NRW) gilt, ähnlich wie in Bayern, seit dem 1. Juli 2023 der Beschluss des Grundsatzausschusses zur Kurzzeitpflege und vollstationären Pflege vom 15. Juni 2023, der die Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens bestimmt.
Wir haben zudem festgestellt, dass weiterhin wesentliche Unterschiede zwischen den Bundesländern in Bezug auf die Mindestpersonalausstattung bestehen.
Betrachten wir zum Beispiel eine Einrichtung mit 36 Plätzen und einer Auslastung von 92 %. Bei der Umsetzung der jeweiligen Mindestpersonalschlüssel, wie sie in den Rahmenverträgen der Bundesländer festgelegt sind, zeigen sich deutliche Unterschiede. Vergleicht man die Vorgaben in Bayern1 mit denen in Nordrhein-Westfalen (NRW), ergibt sich eine Differenz von etwa 2 Vollzeitäquivalenten (VZÄ).
Dieser Unterschied von rund 2 VZÄ kann in NRW zu einer höheren Arbeitsbelastung der Mitarbeitenden führen. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die Pflegequalität für die Bewohner*innen darunter leidet, da weniger Personal zur Verfügung steht, um insbesondere auf deren individuellen Bedürfnisse einzugehen.

Tabelle: Personalanhaltswerte nach dem Nachtrag vom 18.04.2023 zum Rahmenvertrag für die vollstationäre Pflege in Bayern zur Umsetzung des PeBemV nach §113c SGB XI und dem Beschluss des Grundsatzausschusses vom 15.06.2023 für die vollstationäre Pflege in NRW.
Die regionalen Unterschiede in Bezug auf Inhalt und Inkrafttreten der Rahmenverträge sowie die bestehenden Unklarheiten und Meinungsverschiedenheiten zu den Vorgaben des § 113c SGB XI sind nur einige der Herausforderungen, mit denen Pflegeeinrichtungen bei der Personalbemessung konfrontiert sind. Obwohl Einrichtungen die Möglichkeit haben, mehr Personal zu vereinbaren, steht in der Regel insgesamt weniger Fachpersonal zur Verfügung – zumindest prozentual betrachtet. Dies erfordert eine kompetenzorientierte Aufgabenverteilung bei Aufgaben, die bisher von Fachkräften übernommen wurden, nun aber an Hilfskräfte (QN3 und QN2) delegiert werden müssen.
Effekte für die Pflegeorganisation
Die kompetenzorientierte Aufgabenverteilung und die damit einhergehende systematische Delegation von Aufgaben, erfordern weitgehende Veränderungen in der Pflegeorganisation. Das häufig praktizierte Modell der Bereichspflege muss ergänzt werden durch Elemente aus alternativen Ansätzen wie die Funktions- oder die Bezugspflege/Primary Nursing. Pflegeeinrichtungen stehen somit vor der Herausforderung, ein individuelles Konzept zu entwickeln, das die Vorteile der verschiedenen Modelle kombiniert und somit optimal von deren jeweiligen Stärken profitiert.
Rekrutierung von Pflegefachhelfer*innen
Zusätzlich zur Entwicklung eines neuen Pflegeorganisationssystems müssen Einrichtungen eine Bestandsaufnahme durchführen, um geeignete Kandidat*innen für die einjährige Ausbildung zur Pflegefachhelfer*in zu identifizieren. Häufig sind ergänzende Personalbeschaffungsmaßnahmen notwendig, um den Bestand an QN3-Personal an die Vorgaben des § 113c SGB XI anzupassen. Einige Einrichtungen integrieren im Rahmen dieser Maßnahmen attraktivere Arbeitszeitmodelle, die beispielsweise neue Möglichkeiten schaffen, Familie und Beruf besser zu vereinbaren.
Organisationsentwicklung in der Steuerung
Die Umsetzung der neuen Personalbemessung erfordert neben den organisatorischen Anpassungen auch gezielte Maßnahmen zur Personalentwicklung. Um die Kultur der Einrichtung nachhaltig zu verändern, werden agile Prinzipien der Selbstorganisation fest verankert. Fachkräfte übernehmen zunehmend Führungsverantwortung, da sie eine zentrale Rolle bei der Koordination und Integration der Mitarbeitenden spielen. Gleichzeitig wird die Eigenverantwortung der gesamten Belegschaft gestärkt, was eine intensivere Zusammenarbeit und flexiblere Strukturen innerhalb der Organisation fördert. Dieser Umstellungsprozess stellt viele Einrichtungen aber auch vor eine große Herausforderung, weil sich gewachsene Rollenvorstellungen und Verantwortlichkeiten teilweise sehr resistent gegenüber Veränderung erweisen.
Zwischenfazit
Unsere Analyse hat ergeben, dass wir uns noch in einer frühen Phase der Umsetzung der neuen PeBeM befinden. Pflegeeinrichtungen sind zwar mit den Vorgaben des § 113c SGB XI vertraut und erste Verhandlungen nach dem neuen System wurden bereits geführt. Dennoch haben die meisten Einrichtungen bislang keine konkreten Maßnahmen zur Anpassung des Pflegeorganisationssystems oder zur Vorbereitung der Mitarbeitenden auf die neuen Anforderungen umgesetzt.
Die Reduzierung der Fachkraftquote, die damit verbundene Notwendigkeit zur Delegation von Aufgaben und die Einführung von Prinzipien der Funktions- und Bezugspflege werden die Zukunft der Pflege maßgeblich prägen. Diese Entwicklungen sind unvermeidlich, und es ist entscheidend, dass sich Pflegeeinrichtungen rechtzeitig auf diese Veränderungen vorbereiten.
- Die pflegegradunabhängige Sonderfunktionen (sog. Funktionsstellen) sowie deren mögliche Anrechnungsvarianten wurden zur Vereinfachung vorerst nicht berücksichtigt. ↩︎
Wie hat sich die Langzeitpflege entwickelt?