Insolventen in der Sozialwirtschaft 2013 bis 2023
Wer die Ergebnisse der Studie „Controlling in der Sozialwirtschaft 2022“ (Arnold, Heitmann, Moos, Reiss) aufmerksam liest, stellt fest, dass die Themen Liquiditätsplanung und Risikomanagement in vielen sozialwirtschaftlichen Organisationen zum Erhebungszeitpunkt offenbar nur von untergeordneter Bedeutung war. Wie anders ist die Tatsache zu interpretieren, dass in lediglich 64,3% der befragten Organisationen (n=115) den Leitungskräften Reports z. B. zur Liquiditätsplanung in einem monatlichen Turnus zur Verfügung gestellt werden, in mehr als einem Drittel der Organisationen aber diese Informationen nur quartalsweise, halbjährlich oder noch seltener aufbereitet werden (13% nie). Dieser Befund überrascht angesichts von ungünstigen Rahmenbedingungen, wie etwa den Folgen der Corona-Pandemie und des Ukrainekriegs, eines anhaltenden Fach-/Arbeitskräftemangels und umfassender Transformationsprozesse in einigen Feldern der Sozialwirtschaft.
Ist der Verzicht auf eine engmaschige „Liqui-Planung“ bei einem Drittel der sozialwirtschaftlichen Organisationen nun leichtfertige Sorglosigkeit oder gilt felix oeconomia socialis und es ist mehr Luft im System als gedacht, so dass es ausreicht, sich nur „gelegentlich“ mit diesem Thema zu beschäftigen? Die Antwort lautet wie immer: „It depends!“
Insolvenzen in der Sozialwirtschaft
Schaut man auf die Daten, die das Worst-Case-Szenario im Hinblick auf die Liquidität beschreiben, dann zeigt sich, dass die Zahl der Insolvenzen in der Sozialwirtschaft 2023 sprunghaft angestiegen ist. Die Daten des Statistischen Bundesamts klassifizieren hier 3 Teilbranchen, in denen sich typischerweise Organisationen der Sozialwirtschaft wiederfinden: „Erziehung und Unterricht“, „Gesundheits- und Sozialwesen“ sowie „Kunst-, Unterhaltung und Erholung“. Auffällig ist hier, dass sich die Zahl der Insolvenzen, insbesondere in der Teilbranche „Gesundheits- und Sozialwesen“ im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt hat (609 statt 307), während in den beiden anderen Teilbranchen die Ausschläge nach oben geringer ausgefallen sind.
Die Daten deuten zudem darauf hin, dass während der Corona-Jahre 2020 bis 2022 die Anzahl der Insolvenzen unter den Vorjahreswerten lag. Mit anderen Worten: Während der Corona-Pandemie haben die staatlichen Stützungsmaßnahmen offensichtlich gegriffen, der eigentliche Schock kam für eine ganze Reihe von Organisationen erst nach Wegfall dieser Maßnahmen. Dieser Befund deckt sich mit unseren Beobachtungen aus der Beratungspraxis.
Leuchtet man die Teilbranche „Gesundheits- und Sozialwesen“ noch einmal genauer aus, dann fällt auf, dass die Anzahl der Insolvenzen 2023 vor allem bei „ambulanten sozialen Diensten“, den „Pflegeheimen“ und den „Altenheimen, Alten- und Behindertenwohnheimen“ deutlich zugenommen haben.
Bei der Bewertung der Daten wird man davon ausgehen müssen, dass die Anzahl der über die amtliche Statistik erfassten Insolvenzen im Gesundheits- und Sozialwesen tendenziell unterschätzt wird, weil ein wesentlicher Teil der Unternehmen in verbandlichen Strukturen, wie z. B. bei der Caritas, der Diakonie oder dem DRK organisiert ist. Hier gibt es z. T. eigene Sicherungsfonds, um Insolvenzen zu vermeiden, die ja auch immer eine negative öffentliche Wirkung für den gesamten Verband entfalten können. Zudem unterstützt z. T. der Spitzenverband in wirtschaftliche Schieflage geratenen Unternehmen durch finanzielle Hilfen, so dass diese kein förmliches Insolvenzverfahren einleiten müssen.
Diese Form des Risikomanagements ist insofern funktional als es erstens den Bestand der betroffenen Organisation sichert und zweitens die Kosten der öffentlichen Skandalisierung minimiert. Man könnte aber auch fragen, weshalb ein Spitzenverband bzw. ein Sicherungsfonds Geld in eine Organisation stecken sollte, die von den Banken kein Geld mehr erhält. Das Erfordernis der Sicherungsmaßnahme ist ja gerade der Hinweis darauf, dass das Management und insbesondere das Risikomanagement vor Ort nicht funktioniert und die Aufsichtsgremien vor Ort zu spät reagiert haben. Dass sich hier aktuell auch die Dachverbände neu positionieren und nicht mehr gewillt sind, jedes Unternehmen zu retten, haben wir in einigen Projekten hautnah miterleben können.
Sozialwirtschaft im Vergleich zu anderen Branchen
Die Längsschnittbetrachtung für die Sozialwirtschaft zeigt interessante Effekte – noch interessanter ist aber vor allem der Vergleich mit anderen Branchen.
Die Daten zeigen, dass das Gesundheits- und Sozialwesen im Jahr 2021– also noch in den Jahren, in denen die Insolvenzen in der Sozialwirtschaft im 10-Jahresvergleich besonders niedrig waren – bereits bei 65 Insolvenzen je 10.000 Unternehmen lag. Sozialwirtschaftliche Organisationen des Gesundheits- und Sozialwesens belegen in diesem Ranking einen der hinteren Plätze. Der Abstand zum Gastgewerbe, das die dritthöchste Insolvenzquote aufweist und während der Corona-Pandemie besonders zu kämpfen hatte, beträgt gerade einmal 5 Insolvenzen je 10.000 Unternehmen. Insgesamt kommen Insolvenzen in der Sozialwirtschaft somit doch deutlich häufiger vorkommen als allgemein angenommen – zumindest häufiger als in einigen anderen Branchen.
Folgerungen für das unternehmerische Handeln: Controlling und Risikomanagement
Die Analyse zeigt: in der Sozialwirtschaft sind die Insolvenzen 2023 sprunghaft angestiegen und betroffen waren vor allem „ambulante soziale Dienste“, „Pflegeheime“ und „Altenheime, Alten- und Behindertenwohnheime“. Die Insolvenzquote des Gesundheits- und Sozialwesens liegt dabei höher als in vielen anderen Branchen, wobei vermutet werden kann, dass es in der Sozialwirtschaft sogar eine gewisse Dunkelziffer gibt. Davon betroffen waren vor allem die Mitarbeitenden und insbesondere die Klienten, die sich neue Anbieter für eine soziale Dienstleistung suchen mussten, die in hohem Maße auf persönlichen Beziehungen beruht.
Mit anderen Worten: die Frage, ob es sinnvoll ist, sich mit den Themen Risiko- und Liquiditätsmanagement in der Sozialwirtschaft zu beschäftigen, ist eindeutig zu bejahen. Schon deshalb, weil im Insolvenzfall auch gesellschaftliche Güter vernichtet werden (hoher Anteil öffentlicher Mittel) und individuelle Hilfeverläufe nachhaltig tangiert werden. Viele Unternehmen in der Sozialwirtschaft haben sich in den vergangenen Jahren bereits intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt und entsprechende Maßnahmen ergriffen. Die Praxis zeigt allerdings auch: es gibt noch deutlichen Entwicklungsbedarf! Nicht zuletzt deshalb, weil die Spielräume der öffentlichen Hand angesichts leerer Kassen für sozialwirtschaftliche Organisationen kleiner werden.
Wer bei einem Gang durch die Messehallen der ConSozial in Nürnberg 2024 aufmerksam zugehört hat, der konnte in vielen Gesprächen heraushören, dass das Thema des nächsten Jahres „Kostenmanagement“ lautet und harte Verhandlungen mit den Leistungsträgern erwartet werden. Wenn in finanzieller Hinsicht die „Luft dünner“ wird, dann erhält betriebswirtschaftliche Steuerung auf Basis eines funktionierenden Controllings (inkl. Liquiditätsplanung!) in Verbindung mit einem systematischen Risikomanagement noch größere Bedeutung als im „Normalbetrieb“.
Ideal ist dann, wenn das Controlling zum „Business Partner“ wird (vgl. Positionierung der International Group of Controlling und des Internationalen Controllervereins) und erforderliche Restrukturierungen oder Sanierungsmaßnahmen mitgestalten kann. Dies geht allerdings nur, wenn die Hausaufgaben erledigt sind: d. h. das Controlling verfügt über ausreichend differenzierte Daten, eine funktionierende Software, effiziente Prozesse, adressatengerechte Reports und eine belastbare Kommunikationsstruktur mit den Adressaten des Controllings.
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