Lessons Learned Corona: Do not give up aus Scrabblesteinen

Lessons Learned Corona: Was können Soziale Organisationen aus der Corona-Pandemie lernen?

In einer Studie für das Sozialwerk St. Georg haben wir untersucht, wie sich die Pandemie auf die Lebenszufriedenheit von Menschen mit Behinderung auswirkt und wie gut das Krisenmanagement geglückt ist. Aus der Studie lassen sich auch Schlüsse für andere Organisationen ziehen.

Lessons Learned Corona

Die Analyse wurde im Sommer 2020 ursprünglich angestoßen, um in einer Art Rückschau Erkenntnisse zu den „Corona-Impacts“ auf die Lebensqualität der Klienten sowie zur Passgenauigkeit des Krisenmanagements des Sozialwerk St. Georg zu gewinnen. Auch wenn aufgrund der anhaltend Pandemie noch keine abschließende Beurteilung möglich ist, gibt es schon jetzt die Möglichkeit die bisherigen Erfahrungen zu reflektieren. Und etwas für die Zukunft zu lernen.

Lesson 1: Die Lebensqualität bleibt hoch

Entgegen den Erwartungen blieb die ermittelte Lebensqualität insgesamt konstant auf hohem Niveau im Vergleich zur Situation vor der Corona-Pandemie (Gesamtscore 2019: 112,87 Punkte, 2020: 113,12 Punkte). Dem Sozialwerk St. Georg ist es demnach gelungen, die Qualität des Lebens der Klienten insgesamt auch während des Lockdowns in der ersten Phase der Corona-Pandemie 2020 zu stabilisieren. Die erlebten Einschränkungen haben sich primär nur auf die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe bezogen – was bei Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen sehr zutreffend erscheint.

Lesson 2: Resilienter als erwartet

Aber einige Klient:innen haben die Einschränkungen tatsächlich gar nicht als Belastung erlebt, sondern sogar positiv bewertet: kein Besuch der WfbM, mehr Freizeit, z. T. mehr Aktivitäten im Wohnbereich etc.

Positive Erfahrungen haben offensichtlich negative Erlebnisse in Teilen kompensieren können. Dieser Effekt war – zumindest in dieser Stärke – überraschend. Er verdeutlicht aber, dass zum einen Menschen mit und ohne Assistenzbedarf über erhebliche Ressourcen im Hinblick auf Resilienz, Anpassungsfähigkeit und Flexibilität verfügen. Zum anderen ist der „Normalbetrieb“ im Hinblick auf die Personenzentrierung nicht immer 100% passend (z. B. Möglichkeiten für gemeinsame oder individuelle Aktivitäten).

Lesson 3: Nichtsdestrotz: Für einige Menschen führt Corona zu schweren, individuellen Krisen

Diese unerwartet positiven Rückmeldungen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auf der Einzelfallebene bei einigen Klienten zu dramatisch eskalierenden Krisensituationen kam. Aus der Dokumentation der „Besonderen Vorkommnisse“ geht hervor, dass es im zweiten Quartal 2020 zu mehr als einer Verdoppelung von Kriseneskalationen im Vergleich zu 2019 kam (2019:16, 2020: 33; plus 17 Vorfälle). Dazu zählen u.a. auch Suizidversuche.

Lesson 4: Gemeinsam ist der richtige Weg

Die Auswertung der Befragungen hat ergeben, dass das Krisenmanagement insgesamt sehr gut gelungen ist. Es gab enorme Herausforderungen durch sich ständig verändernde Rahmenbedingungen, Vorgaben und Lernerfahrungen – sowie in den konkreten Situationen des Handelns unter erheblicher Unsicherheit. Dies wurde von allen Befragten als sehr belastend wahrgenommen.

Gleichwohl haben die befragten Klienten, Mitarbeitenden und Leitungskräfte übereinstimmend festgestellt, dass das Sozialwerk St. Georg als Ganzes gut durch die erste Hochphase der Sars-CoV-2-Pandemie gekommen ist. Durch die gemeinsamen Anstrengungen ist es gelungen, schlimmere Auswirkungen zu verhindern bzw. abzumildern. Der Tenor insgesamt lautete: Wir können Krise! Aufgeleuchtet ist dabei auch ein gewisser Stolz, diese Herausforderung gemeinsam gemeistert zu haben, was für eine hohe Identifikation mit dem Unternehmen spricht.

Lesson 5: Krisenmodus erfordert erheblichen Einsatz von Ressourcen – an der Belastungsgrenze

Die Analyse bestätigt die „gefühlte“ Erfahrung, dass die Qualität des Lebens der Klienten im Lockdown, mit Teilöffnungen, allerdings nur mit einem immensen Kraftaufwand aller Beteiligten im Sozialwerk St. Georg zu sichern war. Der Aufwand für die coronabedingten zusätzlichen Aufgaben resultierte – nach Informationen der Leistungskräfte und Mitarbeitenden – in einer Zunahme von Mehrarbeitsstunden. Dass dies nicht nur ein gefühlter Wert war, bestätigt die Auswertung der Mehrarbeitsstundenstatistik: In den Monaten März bis Mai 2020 war gegenüber dem gleichen Zeitraum 2019 im Saldo ein Plus von 4.416 Mehrarbeitsstunden zu beobachten. Damit wurde die Organisation wiederkehrend an ihre Belastungsgrenzen geführt, an manchen Tagen auch darüber hinaus.

Lesson 6: Gelingende Kommunikation ist der Schlüssel in der Krise

Der Umfang der durch die Corona-Pandemie hervorgerufenen Kommunikation wurde vielfach als Stressor erlebt. Andererseits, dies wurde von allen Teilnehmern der Fokusgruppen betont, war die gelingende Krisenkommunikation ein zentraler Schlüssel zur Krisenbewältigung.

Ein guter Indikator für die Bedeutung der Kommunikation im Krisenmodus sind die Einträge ins Dokumentationssystem: 77 % aller zusätzlich dokumentierten Aktivitäten entfiel auf den Bereich der coronabedingten Kommunikation (1.351 von 1.748 Einträgen). Im Vordergrund standen dabei insbesondere die Vermittlung der Corona-Verhaltens- regeln und deren Einhaltung (63%) sowie allgemeine Informationen zur pandemischen Lage (14,4 %).

Lesson 7: Digitalisierung als limitierender Faktor

Digitalisierung ist bereits im Normalbetrieb das Gebot der Stunde für soziale Organisationen. Im Krisenmodus, das hat die Analyse gezeigt, wird Digitalisierung sogar unverzichtbar! Hier ist das Sozialwerk St. Georg, wie sicher viele andere Unternehmen des sozialen Bereichs auch, an technische Grenzen gestoßen.

Trotz der hohen bisherigen Investitionen in die Weiterentwicklung hat sich der aktuelle Digitalisierungsgrad der Organisation als limitierender Faktor erwiesen. Es gab eine rasche Folge immer neuer Vorgaben und Regelungen – darunter auch viel Missverständliches –, die an Mitarbeitende, Klienten, deren Angehörige und gesetzliche Betreuer sowie mit Behörden kommuniziert werden mussten. Dies führte zu Problemen, die mit den derzeit im Einsatz befindlichen Kommunikationsinstrumenten kaum zu bewältigen waren.

Fazit Lessons Learned Corona: Was bringt die Zukunft?

Wertschätzung und Anerkennung für die geleistete Arbeit in sozialen Organisationen wirken vor allem dann überzeugend, wenn im Anschluss an die Pandemie nicht Sparprogramme der öffentlichen Hand zu Deckelungen von Budgets oder gar Mittelkürzungen in der Eingliederungshilfe führen. Denn nach der Corona-Pandemie steht nicht die Rückkehr in den status quo ex ante oder etwa Regeneration auf der Agenda, sondern die Umstellung der Fachleistungen auf die Finanzierungsregelungen des BTHG. Mit anderen Worten: Die Eingliederungshilfe tritt gerade jetzt in eine neue Phase der Dienstleistungserbringung, die eine fachliche Weiterentwicklung und Anpassung der Dienstleistungen an veränderte Bedarfe der Menschen mit Assistenzbedarf zum Gegenstand hat.

Die Realisierung der zentralen Ziele des BTHG, Personenzentrierung, Wahlfreiheit, Flexibilisierung und Durchlässigkeit von Hilfen etc., lassen sich nur durch zusätzliche, gezielte Investitionen in neue Leistungsangebote, neue (hybride) Dienstleistungskonfigurationen, neue Fach-, Management- und Service-Prozesse sowie eine konsequente Digitalisierungsstrategie realisieren.

Und dazu braucht es eher mehr als weniger Ressourcen.


Management Letter

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