Strategische Neupositionierung des Berufsbildungsbereichs (BBB) in WfbM
Aktuelle Herausforderungen
Viele Werkstätten für Menschen mit Behinderung stehen aktuell vor der Herausforderung, den Berufsbildungsbereich (BBB) fachlich und organisatorisch weiterzuentwickeln zu müssen. Die Notwendigkeit hierzu resultiert aus der Tatsache, dass die Politik mit dem Bundesteilhabegesetzt (BTHG) fachliche Prinzipien, wie z.B. die Personenzentrierung, das Wunsch- und Wahlrecht, die Teilhabe, die Assistenz (Rolle Mitarbeitende), die Sozialraumorientierung und die Wirkungsorientierung als verbindliche Standards normiert hat. Diese Standards tangieren, in Verbindung mit weiteren politischen Initiativen, auch die Teilhabe an Arbeit und damit auch die Berufsbildungsbereiche von Werkstätten.
Ein wesentlicher Aspekt ist dabei, dass Automatismen an den „klassischen“ Schnittstellen (Förderschule – BBB, BBB – AB WfbM) aufgebrochen werden sollen, bis hin zu Überlegungen, den BBB vollständig organisatorisch aus demWfbM-Kontext herauszulösen. Ziel ist es dabei, für Menschen mit Behinderung auch alternative bildungs- und beschäftigungsbiographische Pfade zu öffnen. Um dies zu ermöglichen, wurden mit dem BTHG neue Instrumente und Angebote geschaffen, wie z.B. das Budget für Ausbildung und das Budget für Arbeit oder die anderen Bildungs- bzw. Leistungsanbieter. Die Personenzentrierung und eine stärkere Berücksichtigung der Wunsch- und Wahlrechte, führt zudem zu einer aktiven, auf die Wünsche von Menschen mit Behinderung hin orientierten Steuerung der Fallverläufe (Case Management). Zudem soll im Rahmen der Qualifizierung von Menschen mit Behinderung zukünftig der Fokus verstärkt auf den Erwerb von Bildungspatenten in Form von Teilqualifikationen und Zertifikaten gelegt werden (vgl. z.B. Berufsbildungsvalidierungs- und -digitalisierungsgesetzes, BVaDiG)

Im Resultat ergibt sich dadurch für den Berufsbildungsbereich die Notwendigkeit einer Neupositionierung.
Neupositionierung in 5 Schritten
Im Rahmen verschiedener Beratungsprozesse hierzu haben sich folgende Arbeitsschritte bei diesem Adaptionsprozess als zielführend erwiesen.
Vision und Mission: BBB 2030
In einem ersten Schritt müssen die Vision und Mission des BBB für die Zukunft definiert werden, um zu klären, warum es den BBB gibt und was das fachliche Ziel ist. Dieses Ziel sollte ganz praktisch formuliert werden, z.B.: Alle Teilnehmer des BBB können mindestens ein Zertifikat im BBB erwerben und erhalten die Chance auf einen inklusiven beruflichen Bildungsprozess. Diese Vision ist messbar und setzt sofort die richtigen Akzente. Ist diese Vorgabe akzeptiert, geht es nur noch um die Frage, wie im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten dieses Ziel erreicht werden kann.
Gesamtstrategie und Leitbild für den BBB 2030
In einem zweiten Schritt sind Vision und Mission in eine Gesamtstrategie zu übersetzen. Hier geht es unter anderem um die Frage, wo der BBB einer Werkstatt 2030 stehen soll. Welche Zielgruppen werden angesprochen, in welchen Berufszweigen werden Ausbildung/Qualifizierung angeboten, welche Zertifikate soll es geben und in welchem Verhältnis stehen zukünftig der Arbeitsbereich der Werkstatt und der BBB. Auch die Frage, wie „virtuell“ und digital der BBB zukünftig arbeiten soll, muss hier beantwortet werden. Nur wenn die Zielrichtung klar ist, lassen sich die Ressourcen für den Transformationsprozess bündeln.
Konzepte, Arbeitsorganisation, Prozesse
Anschließen ist zu überprüfen, welche Implikationen sich aus Vision/Mission und Strategie für Konzepte, Arbeitsorganisation und Prozesse im BBB ergeben. Wichtige Aspekte sind dabei:
- Verhältnis von Theorie und Praxisanteilen
- Anteile von generalistischen Inhalten sowie berufs- oder arbeitsfeldspezifischen Inhalten
- Veränderung von Präsenzzeiten der Teilnehmer im BBB und im Arbeitsbereich oder in Betrieben (im Rahmen von Praktika)
- Steuerung von Bildungs- und Dokumentationsprozessen
- Begleitung von Teilnehmern des BBB, damit der Erwerb von Teilqualifikationen / Zertifikaten gelingt
- Begleitung und Beratung von Praktikumsstellen
Digitalisierung
Alle Prozesse sind zudem daraufhin zu prüfen, in welcher Form diese digitalisiert werden können. Dabei geht es nicht nur um die Digitalisierung von Unterstützungs- und Dokumentationsprozessen etc., sondern vor allem auch um die Frage, welche digitalen Tools verfügbar sind, um Menschen mit Behinderung eigenständiges Lernen (z.B. anhand von Videos etc.) zu ermöglichen und so autonome Bildungsprozesse anzustiften.
Bildungsprozesse / Zertifikate und Wirkungsmessung
Zudem braucht es eine Klärung, welche Zertifikate Meschen mit Behinderung im BBB erwerben können sollen: z.B. eigene BBB-Abschlüsse, IHK anerkannte Abschlüsse/ Zertifikate, überregional standardisierte Abschlüsse und Zertifikate etc. Für diese müssen die Voraussetzungen geschaffen werden und insbesondere muss geklärt werden, wie individuelle Lernfortschritte einem systematischen fachlichen Controlling unterzogen werden können, um die Wirkung bei der Zielgruppe aber auch die Wirksamkeit der eigenen Organisation beobachten und kontinuierlich verbessern zu können.
Haben Sie Fragen hierzu oder möchten mit uns zu diesem Thema ins Gespräch kommen, dann wenden Sie sich bitte an Stefan Löwenhaupt.