Kindertagesstätten im Lockdown – xit Studie ermittelt wirtschaftlichen Effekt sozialer Dienstleistungen
Die Corona-Pandemie bestimmt aktuell das Weltgeschehen und das Leben in Deutschland. Auch wenn man das Glück hat, gesundheitlich nicht unmittelbar von der Krankheit betroffen zu sein, ist an einen „normalen“ Alltag nicht zu denken: Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote lösen bestehende Strukturen auf, die bis vor kurzem noch als selbstverständlich galten. Insbesondere Eltern treffen die Lockdown-Maßnahmen hart, bedeuten sie doch auch die Schließung von Schulen und Kindertagesstätten.
Besonders bei kleinen Kindern leidet darunter die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Berufstätigkeit (oder ist schlicht unmöglich), selbst wenn die Möglichkeit für die Arbeit aus dem Home-Office gegeben sein sollte. Insgesamt wird erwartet, dass sich daraus erhebliche wirtschaftliche Folgen ergeben, wie etwa auch vom saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans prognostiziert. Die zentrale Frage, die in diesem Zusammenhang viele beschäftigt, lautet nun: Welche finanziellen Einbußen sind für die Gesellschaft aus dem Wegfall sozialer Dienstleistungen konkret zu erwarten?
Unabhängig von der Corona-Pandemie hat die xit GmbH bereits 2019 diese Frage untersucht. Im Rahmen der Studie „Sozialwirtschaft Bayern 2020“, in der im Auftrag der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege mit Unterstützung des Bayerischen Sozialministeriums Daten zur gesellschaftlichen Wertschöpfung der Sozialwirtschaft erhoben und analysiert wurden, konnten die Folgen durch einen Wegfall des Kindertagesstätten-Angebots durch die Sozialwirtschaft für das Bundesland Bayern quantifiziert werden.
Ausgangsbasis hierfür ist eine, bereits für sich genommen, eindrucksvolle Zahl: gäbe es keine Kindertagesstätten mehr, so müssten alleine in Bayern ca. 550.000 Kinder eine alternative Form der Betreuung erhalten. Denkbar wären dabei folgende vier Szenarien:
- Alternative 1: Aktuell nicht erwerbstätige Elternteile betreuen die Kinder selbst.
- Alternative 2: Aktuell erwerbstätige Eltern reduzieren ihre Erwerbstätigkeit.
- Alternative 3: Eine Tagespflegeperson wird engagiert.
- Alternative 4: Nicht erwerbstätige Verwandte übernehmen die Betreuung der Kinder.
Simuliert man für das Bundesland Bayern – basierend auf statistikgestützten Verteilungsannahmen, durchschnittlichen Werten bei Bruttolöhnen, Lohnsteuern, Sozialversicherungsbeiträgen und einer Vielzahl weiterer Aspekte – die Auswirkungen dieser Alternativen, werden die wirtschaftlichen Effekte eines Wegfalls von Kindertagesstätten eindrucksvoll sichtbar:
- Die öffentliche Hand hätte Einbußen von gut 1,2 Mrd. € im Jahr zu verkraften, da mehr als 159.000 Elternteile ihre Erwerbstätigkeit zugunsten der Kinderbetreuung einschränken müssten.
- Die Nettokosten pro Kind und Jahr würden in Bayern, inklusive Rückflüsse und entgangener Einnahmen, um 2.581 € steigen – von 1.771 € auf 4.352 €. Ohne die Kindertagesstätten hätte die öffentliche Hand insgesamt jährliche Mehrkosten von 933 Mio. €.
- Die verringerte Arbeitszeit der Eltern würde sich auf rund 110 Mio. Stunden im Jahr summieren, umgerechnet insgesamt mehr als 68.500 Vollzeitstellen. Die Verrechnung des Bruttoinlandsprodukts pro geleistete Arbeitsstunde zeigt, dass Kindertagesstätten damit ein wirtschaftliches Wachstum von etwa 6,5 Mrd. € pro Jahr ermöglichen.
- Die Einkünfte von Familien mit reduzierter Arbeitszeit würden sich monatlich um rund 950 € verringern.
Die Bedeutung der Kindertagesstätten, nicht nur für die Eltern und die Entwicklung der Kinder, sondern auch für die Wirtschaft und die gesamte Gesellschaft sind also mehr als eindeutig. Kindertagesstätten helfen Kindern bei der Entfaltung ihrer Fähigkeiten und Ressourcen und leisten einen erheblichen Beitrag für gleiche Bildungschancen. Ohne Kindertagesstätten gehen darüber hinaus aber auch Einkommen und Wirtschaftskraft verloren – und das jeden Tag. Eine Tatsache, die insbesondere in Anbetracht der gegenwärtigen situationsbedingten Schließungen von nicht zu unterschätzender Relevanz ist und erklärt, warum dem Thema „Öffnung von Kindertagesstätten“ sowohl von den Medien, Politikern und anderen gesellschaftlichen Akteuren ein hohes Maß an Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Die gerade skizzierte und in der Studie „Sozialwirtschaft Bayern 2020“ verwendete Methodik, basierend auf dem Social Return on Investment (SROI), sowie die zugrundeliegenden Annahmen lassen sich auch auf andere sozialwirtschaftliche Leistungen übertragen, um deren wirtschaftliche Dimensionen zu quantifizieren und zu analysieren.
Sollten Sie Fragen zu diesem Thema beziehungsweise zu den Möglichkeiten und Anwendungsszenarien haben, dann wenden Sie sich bitte an: Prof. Dr. Klaus Schellberg