Die Sozialwirtschaft in Zeiten von Corona – ein Stimmungsbild!

Die Corona-Pandemie hat die Sozialwirtschaft – wie alle anderen gesellschaftlichen Bereiche – seit fast drei Monaten fest im Griff. Dabei sind die Herausforderungen in einzelnen Arbeitsfeldern höchst unterschiedlich: während z. B. Altenpflegeheime über die gesamte Zeit weiter in Betrieb und Mitarbeiter sowie Klienten besonders gefährdet sind, werden Werkstätten, Kindertagesstätten oder Einrichtungen der Beruflichen Bildung nach einem harten Lockdown nun erst allmählich wieder hochgefahren. Gemeinsam ist dabei allen die Erfahrung, dass die beginnende „neue Normalität“ nicht einfacher wird, sondern neue fachliche, wirtschaftliche und kulturelle Herausforderungen bereithält.

Wie kommt die Sozial- und Gesundheitswirtschaft mit dieser Situation zurecht? Was sind die zentralen Managementthemen in der Krise, welche Maßnahmen zur Zukunftssicherung wurden ergriffen und welche wirtschaftlichen Folgen hat die Pandemie für die jeweiligen Organisationen? Zur Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen haben die Deutsche Gesellschaft für Management und Controlling in der Sozialwirtschaft e.V. und die xit GmbH, eine gemeinsame Online-Befragung durchgeführt, für die nun erste Ergebnisse vorliegen.

Insgesamt 102 Organisationen haben sich an der Umfrage beteiligt, dafür herzlichen Dank allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern! Mit dieser Befragung liegen nun Daten für alle 16 Bundesländer und das gesamte Spektrum der Sozialwirtschaft vor. Rund 58 % der teilnehmenden Organisationen unterhalten Einrichtungen in der Behindertenhilfe, 47 % in der beruflichen Bildung und Rehabilitation, 45 % in der Kinder- und Jugendhilfe und jeweils 32 % in der stationären und ambulanten Altenhilfe/Pflege (Mehrfachantworten waren möglich).

Zentrale Themen: Schutz, Kommunikation und Betreuung!

Danach befragt, wie intensiv sich Organisationen der Sozialwirtschaft derzeit mit einzelnen Themen beschäftigen, ergibt sich ein klares Bild: Bei mehr als drei Viertel der Organisationen binden demnach der Schutz der Klienten und Mitarbeiter vor Ansteckungen (78 %; siehe Abbildung 1), die Kommunikation mit Klienten, Kunden und Nutzern von Einrichtungen und Angeboten (78 %) sowie die Sicherstellung von deren Betreuung (76 %) viele bis sehr viele Ressourcen.

Im Fokus stehen das Kerngeschäft sowie alle damit einhergehenden sekundären und tertiären Organisationsprozesse. Das reicht von der Beschaffung von Hygieneartikel, über die Entwicklung von Pandemieplänen sowie neuen Dienst- und Einsatzplänen, dem Aufbau neuer Kommunikationsformen (z. B. Videokonferenzen), bis hin zur Sicherstellung der Betreuung von Klienten, die Einrichtungen nicht mehr betreten dürfen (z. B. WfbM).  

Abb. 1 Corona Befragung neu

Deutlich weniger Ressourcen werden im Vergleich dazu für die Themen „Personalkapazitäten / Know-how im Bereich IT“ sowie „Sicherstellung der Liquidität“ benötigt: jeweils ca. 40 % der Organisationen haben angegeben, dass sie sich mit diesen Aspekten aktuell intensiv beschäftigen, wobei auf die Antwortkategorie „bindet sehr viele Ressourcen“ gerade einmal 13 % entfielen. Angesichts der intensiven medialen Berichterstattung zur Digitalisierung und zur aktuellen wirtschaftlichen Situation sozialer Organisationen, ein zumindest interessanter Befund.

Im Hinblick auf das Thema Digitalisierung dürften einige Organisationen bereits zuvor gut aufgestellt gewesen sein. In anderen Organisationen hat die Krise kurzfristig kreative Potenziale freigesetzt, die zu „hemdsärmeligen“, vermutlich nicht immer datenschutzkonformen, aber gangbaren Lösungen geführt haben. Dieses „Muddling-Through“ mit Hilfe der am Markt – häufig sogar kostenlos – verfügbaren Werkzeuge, war kurzfristig das Mittel der Wahl, wird aber nun durch einen strategischen Ansatz ergänzt werden müssen.      

Bei der Liquiditätssicherung ist davon auszugehen, dass dieses Thema zwar auf der Managementebene Ressourcen bindet, die komplette Neustrukturierung der Betreuung (inkl. Lockdown) unter den Bedingungen von strengen Hygieneregeln, für die Gesamtorganisation aber einen viel nachhaltigeren kontinuierlichen Impact produziert. Neben diesem Aspekt, der prinzipiell gilt, dürfte sich in den Daten auch die Vielfalt föderaler bzw. arbeitsfeldspezifischer Finanzierungs- und Unterstützungsmodalitäten sowie die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen einzelner Organisationen widerspiegeln. So haben Finanzierungszusagen der öffentlichen Hand gerade in vielen umsatzstarken Arbeitsfeldern der Sozialwirtschaft (z. B. Pflegeheime, Besondere Wohnformen) zumindest kurz- und mittelfristig zu einer Stabilisierung geführt. Zudem verfügten manche Organisationen schlichtweg über entsprechende Reserven oder starke Partner im Verband, die es ihnen ermöglichen, einige Krisenmonate „abzuwettern“. Liquiditätsprobleme treten vor allem dort auf, wo die Margen zuvor bereits gering waren und vor allem bei Geschäftsmodellen, für die a) ein Mix aus öffentlichen und privaten Mitteln für die Finanzierung konstitutiv ist (z. B. ambulante Pflege, Werkstätten) und/oder die b) in Dienstleistungsbereichen angesiedelt sind, die einen harten Lockdown durchlebten (z. B. Inklusionsbetriebe, die Hotels oder Cafés betreiben).

Zu berücksichtigen ist zudem, dass unsere Abfrage auf die aktuelle Situation zielte: Befragt nach den zukünftigen Entwicklungstrends in der Sozialwirtschaft waren „Digitalisierung“ und „Finanzierungsprobleme“ (hier wurde vielfach auf die öffentlichen Haushalte in den nächsten Jahren verwiesen) die beiden häufigsten Antworten.

Maßnahmen zur Krisenbewältigung: Personalmanagement und Kurzarbeitergeld 

Auch wenn die Liquiditätssicherung im Rahmen des Krisenmanagements im Vergleich zu anderen Themen (zum Glück!) nicht das alles beherrschende Thema darstellte, zeigt ein Blick auf die ergriffenen Maßnahmen zur Krisenbewältigung doch, dass die Finanzen eine wichtige Rolle gespielt haben: 65 % der Organisationen setzen zur finanziellen Sicherung auf die gesonderte Dokumentation des Mehraufwandes und immerhin 50 % haben Kurzarbeitergeld beantragt. Mit anderen Worten: In der Hälfte der befragten sozialen Organisationen kam es zu einem teilweisen oder vollständigen Rückgang der Auslastung der Mitarbeiter.

Hierzu passt der Befund, dass bei den organisatorischen Maßnahmen zur Krisenbewältigung vor allem das Personal im Fokus (siehe Abbildung 2) stand. Bei vier Fünftel der Befragten wurde der Personaleinsatz etwa über die Verschiebung zwischen Arbeitsfeldern oder Kohortenbetreuung (80 %), und bei weiteren 73 % die Arbeitszeiten (mit z. T. einschneidenden Maßnahmen) angepasst.

Kooperative Maßnahmen, wie die Zusammenarbeit mit Verbänden oder anderen Organisationen, spielen im Vergleich dazu nur eine untergeordnete Rolle. Die Möglichkeiten der Kreditbeantragung sowie der Stundung von Mietzahlungen oder Steuern haben im Übrigen weniger als 10 % der Organisationen genutzt.

Abb. 2 Corona Befragung neu

Unterm Strich: finanzielle Verluste!

Trotz umfassender staatlicher Unterstützungs- und Sicherungsmaßnahmen und einem intensiven Krisenmanagement wird die Corona-Pandemie bei fast allen befragten Organisationen zu finanziellen Verlusten führen, wenn auch in unterschiedlichem Umfang. So gaben 63 % der Befragten an, dass sie den finanziellen Schaden für das Geschäftsjahr 2020 auf über 250.000 € schätzen, 28 % beziffern ihn auf über 500.000 € und 18 % sogar auf über 1.000.000 € (siehe Abbildung 3).

Das sind gewaltige Summen, die in den kommenden Jahren z. T. einschneidende Sparmaßnahmen erfordern werden. Und niemand kann vorhersagen, wie sich das kommende Jahr entwickeln wird. Hier wird viel davon abhängen, ob es im Herbst eine zweite Infektionswelle gibt und wie sich die öffentlichen Haushalte darstellen.

Abb. 3 Corona Befragung neu

Fazit

Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass die Corona-Pandemie das System der deutschen Sozialwirtschaft auf eine nicht unerhebliche Belastungsprobe stellt. Organisation und Finanzen müssen eng gesteuert werden, erfordern Resilienz des Führungspersonals und die Bereitschaft zur Entscheidung unter Unsicherheit. Die Folgen werden lange nachhallen und in vielen Organisationen zu finanziellen Verlusten führen. Möglichweise wird dies auch an der ein oder anderen Stelle zu Marktbereinigungen führen. 

Zudem wird deutlich, dass das Management vieler sozialwirtschaftlicher Organisationen sehr professionell durch diese Krise steuert, die zur Verfügung stehenden Maßnahmen zur Krisenbewältigung intensiv nutzt und der Mensch als Empfänger der Dienstleistung weiterhin höchste Priorität hat. Nichtsdestotrotz wird die Pandemie massive Impacts für die zukünftige Entwicklung der Sozialwirtschaft haben. Insbesondere die Themen Finanzierung und Digitalisierung werden in Zukunft noch deutlich mehr Bedeutung gewinnen.

Eine vertiefte Analyse folgt in den kommenden Wochen.

Sollten Sie Fragen haben, dann wenden Sie sich bitte an: Stefan Löwenhaupt